domingo, 30 de janeiro de 2011

Die Favelas von Rio: Cantagalo-Pavão-Pavãozinho.

Vielen, die ihr Bäuchlein an den von Touristen stark frequentierten Stränden von Ipanema in die Sonne gehalten haben, ist die Favela auf dem Hügel hinter dem berühmten Stadteil Rios ins Auge gestochen.

Ein paar Meter Höhenunterscheid und man betritt eine andere Welt:

kids em canta

Cantagalo-Pavão-Pavãozinho sind drei verwachsene Favelas in der Südzone von Rio. Sie liegen, sehr prominent, auf dem Hügel hinter den Stränden von Ipanema und der Copacabana. Die BewohnerInnen blicken auf eine der teuersten Wohngegenden Südamerikas und ihre berühmten Strände herunter.

Die Geschichte der Siedlung geht an die hundert Jahre zurück. Die unter Hungersnöten leidende Landbevölkerung aus Minas Gerais und dem Norden zog nach Ende der Sklaverei auf der Suche nach Arbeit in die damalige Hauptstadt Rio. Sie errichteten kleine Häuschen auf dem Hügel hinter den mondänen Villen, in denen sie arbeiteten.

Heute sind die kleinen Häuschen zu teilweise bis zu fünf Stockwerke hohen Ziegelbauten mutiert, die sich in oft waghalsigen Konstruktionen an den Hügel drücken. „25.000 Menschen wohnen auf dem Hügel“, erzählt mir ein Bewohner. Das ist eine große Differenz zu der 2008 erhobenen offiziellen Zahl. Damals erhob der Zensus, dass Cantagalo-Pavão-Pavãozinho 9.500 Seelen beherbergt.

Bis vor genau einem Jahr, Weihnachten 2009, stand Cantagalo-Pavão-Pavãozinho unter der Herrschaft des Comando Vermelho. Das Comando Vermelho ist die älteste und größte Drogenbande Rios. Eine vor zwei Jahren erhobene Studie ermittelte, dass das CV damals 40 Prozent der Favelas von Rio kontrollierte. Zeitungen und NGOs sprechen aufgrund der permanenten bewaffneten Konflikte zwischen Drogenkartellen, Polizei und Miliz von einem urbanen Kriegszustand. Um die Verwendung diese Worts zu erklären, wird häufig der von Amnesty International erhobene Vergleich zitiert:

Von Dezember 1987 bis November 2001 sind in Rio 4.000 Minderjährige und Kinder bei Schießereien gestorben. In den Favelas, die unter dem Regime eines Kartells stehen, kann der Staat sein Gewaltmonopol nicht durchsetzen. Die BürgerInnen leben in ihrer Wohngegend nach den Gesetzen der Banditen und müssen bei Verstößen gegen die Regeln mit grausamen Strafen bis hin zu Exekution rechnen. Das Comando versucht Sozialleistungen und staatliche Interventionen soweit wie möglich zu verhindern, um ihre Machtposition zu sichern. Greift die Polizei doch ein, dann wird von einer Invasion gesprochen. Die Favela wird gestürmt, es kommt zu Schießereien im Wohngebiet, einzelne Verbrecher werden gejagt und festgenommen. Die bestehenden Machtverhältnisse werden nicht geändert und andere rücken in die Position der Festgenommenen nach. Die Spirale der Gewalt dreht sich weiter.

UPP

2008 trat unter Rios Gouverneur Sérgio Cabral ein neues Polizeiprogramm in Kraft. UPP - Unidades de Polícia Pacificadora - sind permant in Favelas stationierte Einheiten der Militärpolizei. Ihre Aufgabe ist es regulierend und helfend in die Gemeinde einzugreifen, Kommunikation mit den BewohnerInnen herzustellen, Akzeptanz zu fördern. Sie sollen das Bild, dass die Polizei nur mehr Gewalt in die Gemeinde trägt, verändern.

Aufgabe der UPP ist es, Schritte in Richtung Annäherung von BewohnerInnen und Polizei zu setzen, sie sollen die Gemeinden unter staatliche Kontrolle zurück führen und dafür sorgen, dass der Einfluss der Banden auf Dauer verschwindet. Die Militärpolizisten, die im Rahmen der UPP in den Favelas stationiert sind, wurden speziell ausgebildet und verdienen 400 Reais, knapp einen brasilianischen Mindestlohn mehr, so dass sie weniger anfällig für Korruption sind. Mehrere Gemeinden wurden im Laufe des letzten Jahres „befriedet“.

Seit genau einem Jahr, Weihnachten 2009, sind die UPP in Cantagalo-Pavão-Pavãozinho stationiert. Die Besitzstandsverhältnisse von Häusern und Grundstücken sind staatlich regularisiert, die BewohnerInnen sind die offiziellen BesitzerInnen der einst wild errichteten Bauten. Die Preise für die Häuser an einem der besten Plätze der Stadt werden in nächster Zeit ziemlich steigen. Die Gefahr, dass man als BewohnerIn zwischen die Fronten von Gangstern und der Polizei gerät, ist geringer geworden . Die Boca de Fumo, wo früher die Drogen verkauft wurden, ist heute eine Mopedgarage.

Museu de Favela

Ich bin hier, um Sidney Tartaruga zu treffen. Sidney ist ein Aktivist aus der Gemeinde, Musiker, unterrichtet Capoeira und er ist der Leiter und Organisatoren des Museu de Favela. Vor zwei Jahren wurde die NGO Museu de Favela gegründet mit dem Ziel, die Kultur der Favela zu repräsentieren und die Geschichte der Siedlung zu dokumentieren. Er holt mich am Eingang zur Favela ab. Das Portal zum Museum, das an verschiedenen Orten in die Favela eingebettet ist, besteht aus eingesammeltem und recyceltem Müll. "Hauptsächlich alte Kühlschränke", erzählt Sidney.

Es ist eine der Missionen des MUF, die mündlichen Überlieferungen über politische Aktivisten und Künstler aus der Favela zu dokumentieren, damit sie für kommende Generationen nicht verloren gehen und ein Teil der offiziellen Geschichtsschreibung von Rio de Janeiro werden.

Im Gang des Hauptqaurtiers des Museums zeigt uns Sidney Tafeln mit Fotoarbeiten über ältere BewohnerInnen von Cantagalo. Hommagen an Frauen, die sich um Straßenkinder kümmerten, obwohl sie kaum selbst etwas hatten, oder Männer, die solang beim Comando und der Stadtregierung vorsprachen, bis beide Seiten sich einigten, dass Strom in die Gemeinde kam.

Das MUF ist ein lebendiges, interaktives Museum, das sich nicht auf einen Ausstellungsort beschränkt, sondern an vielen Orten in das Leben in der Favela eingebettet ist.

Viele unterschiedliche Kulturen sind durch die Migrationsströme aus dem Norden und Nordosten Brasiliens in den urbanen Favelas verschmolzen. Hier mischen sich traditionelle Musiken wie Forro und Axe mit Hip Hop, Funk und Soul. Baile Funk ist hier entstanden, als die Kids vor über 25 Jahren begannen Kraftwerk, nordamerikanischen Funk und brasilianische Rhythmen zu kombinieren.

Graphische Traditionen werden in Graffitis eingebaut. Das Büro des MUF ist auch ein Community Center, in dem es einen Computerraum gibt, eine Zeitung wird herausgebracht, Kinoveranstaltungen werden organisiert. Es soll einerseits ein Anreiz sein für die Leute, die unten in Ipanema leben, ihre Nachbarn vom Hügel kennenzulerenen, Vorurteile abzubauen und den Ort zu öffnen. Das MUF will andererseits den BewohnerInnen Chancen geben aktiv zu werden und ihre Lebensumgebung zu verbessern.

2050 Schritte

Letzte Woche wurde das Graffiti Outdoor Museum des MUF eröffnet. Die zwanzig bemalten Häuserfronten und Straßenzüge, die das Graffiti Outdoor Museum bilden, sind über die drei Favelas Cantagalo und Pavão-Pavãozinho verteilt. Der Weg zwischen ihnen ist ein Spaziergang, der mit 2.050 Schritten zu bewältigen ist.

Acme, einer der berühmtesten Graffiti Writer von Rio ist Präsident des MUF und Bewohner von Cantagalo. Die zehn Wände wurden von ihm und Kollegen gemalt.

Es sind Bilder, die die Geschichte und historische Momente der Gemeinde zeigen.

Wie die ersten Häuser gebaut wurden.

Ein weiters Bild ist ein Memorials, das davon erzählt, dass man bis in die 80er Jahre Wasser in die Favela hinauftragen musste.

Ein weiteres Bild ist den Musikern, Tänzern und Sportlern gewidmet, die aus der Gemeinde kamen.

Die Vermischung von Christentum mit afrobrasilianischen Religionen wurde in Szenen festgehalten.

Eine Hommage an den Carnaval darf auch nicht fehlen.

Eine Wand erinnert an die Konflikte und Relationen mit den Autoritäten.

Kleine Installationen wie zum Beispiel ein Wegweiser, der in Richtung des Museums zeigt und auf dem „Fortschritt“ steht, ist in die räumlichen Gegebenheiten und die Ästhetik der Favela eingebaut.

Acme, der Präsident des MUF, erzählt in einem Interview mit CNN, dass er und seine Crew seit Jahren in Favelas arbeitet, „um Farbe und Freude an Orte zu bringen, wo normalerweise Zerstörung herrscht, es kommen soviele Leute, um zu zerstören, wir kommen, um zu stärken.“

Es ist Reizüberflutung, wenn man nicht gewohnt ist in dem Terrain mit den kleinen unebenen Gassen, der verwinkelten Architektur, den offenen Wohnzimmern, Bars, Frisören und den auf den Straßen spielenden Kindern zu manövrieren.

Ein mehrmaliger Besuch zahlt sich aus, da es viele Facetten zu entdecken gibt. Das Outdoor Graffiti Museum des MUF freut sich auf BesucherInnen, Führungen können arrangiert werden.

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